Kodex


1. Allgemeines


  • Durch verantwortungsvolle Arbeiten zur Erfassung des Arteninventars und der ökologischen Ansprüche der von uns bearbeiteten Tiergruppen werden von uns wichtige Grundlagen für die Erhaltung ihrer Artenvielfalt gelegt.
  • Soweit aufgrund der diffizilen Nachweis- und Determinationsmethoden fachlich möglich, erfolgt die Erfassung des Arteninventars in der Reihenfolge Bestimmung durch Beobachtung, Bestimmung durch Lebendfang beziehungsweise Bestimmung durch Tötung und Präparation.
  • Soweit wissenschaftlich bei einzelnen Tiergruppen vertretbar, bevorzugen wir die fotografische oder gegebenenfalls die akustische Dokumentation des Vorkommens.
  • Zur fachlichen Bearbeitung ökologischer, taxonomischer und naturschutzrelevanter Fragestellungen, also zu wissenschaftlichen Zwecken, kann das Sammeln und Töten, insbesondere von Arthropoden, notwendig werden.
  • Das Sammeln von Tieren für rein kommerzielle Zwecke sowie die Verwendung als Kunstobjekte wird von uns nicht betrieben. Wir entnehmen bei Aufsammlungen nur so viele Organismen der Natur, wie für den jeweiligen wissenschaftlichen Zweck unbedingt erforderlich ist und ohne daß eine Bestandsgefährdung der Art am Sammelplatz erkennbar wird.
  • Ein wissentlicher Fang von Individuen aus Vorkommen isolierter Populationen gefährdeter, stark gefährdeter oder vom Aussterben bedrohter Arten wird vermieden. Lebend sicher bestimmbare, vom Aussterben bedrohte Arten werden bei größter Zurückhaltung nur ausnahmsweise und in wenigen, wissenschaftlich gut begründeten Fällen abgetötet. Gebietsweise muß auch ein generelles Fangverbot durchgesetzt werden. Bestandskontrollen und gezielten Maßnahmen zur Biotoppflege sollte jedoch nichts entgegenstehen.
  • Ein besonderes Augenmerk wird auf die Förderung der Erfassung und Bearbeitung von Tiergruppen, die bisher regional kaum oder gar nicht Gegenstand faunistischer oder ökologischer Untersuchungen waren, gelegt.
  • Seriöser Naturschutz kann nur mit ganzheitlichen Betrachtungen von Biozönosen betrieben werden. Daher bemühen wir uns in unseren Projekten, zusätzlich zur Erfassung und Bewertung der von uns vertretenen Tiergruppen begleitende Daten (Prädatoren, Symbionten, Biotopstrukturen, Pflanzengesellschaften, Böden, Nutzungsformen etc.) zu erfassen oder deren Bearbeitung durch andere anzuregen.
  • Der Einstieg von Laien in das umfangreiche Fachgebiet der Faunistik kann in der Regel nur über die Anlage von eigenen Vergleichs- beziehungsweise Belegsammlungen erreicht werden. Wir sichern dem fachlichen Nachwuchs jegliche Unterstützung zu, um auch künftig noch in der Lage zu sein, faunistische Fragestellungen auf hohem Niveau zu bearbeiten.
  • Es wird angestrebt, die gesammelten Organismen und alle in diesem Zusammenhang gewonnenen Angaben der wissenschaftlichen Auswertung zum Beispiel in Form von Belegsammlungen und Veröffentlichungen zugänglich zu machen. Mit der wissenschaftlichen Bearbeitung durch andere verbundene Auflagen bestimmt der Eigentümer.

2. Zusammenarbeit mit Behörden und wissenschaftlichen Einrichtungen


  • Die Mitglieder der in der FLAGH zusammengeschlossenen Organisationen arbeiten in Kenntnis der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen (Bundesnaturschutzgesetz, Bundesartenschutzverordnung, EU- und Landesgesetzgebung).
  • Wir machen unseren Einfluß geltend, um eine Beseitigung erheblicher fachlicher Defizite, wie sie zum Beispiel die Bundesartenschutzverordnung erkennen läßt, zu erreichen.
  • Faunisten, die diesen Ehrencodex durch ihre Unterschrift anerkennen, werden von den zuständigen Naturschutzbehörden einem vereinfachten Genehmigungsverfahren zum Sammeln unterzogen.
  • Akute Gefahren für stark gefährdete oder vom Aussterben bedrohte Arten — zum Beispiel durch Habitatzerstörung oder anderweitige Individuendezimierungen — werden, sobald möglich, den zuständigen Naturschutzbehörden mitgeteilt. Ähnliches gilt für neu entdeckte Vorkommen der betreffenden Arten, um ihren Lebensraum sichern zu können.
  • Die Mitarbeiter der in der FLAGH zusammengeschlossenen Arbeitsgemeinschaften bieten bei der Ausarbeitung und Präzisierung von Roten Listen oder bei der Neufassung von gesetzlichen Bestimmungen ihre Mitarbeit an und bringen ihre Fachkenntnisse ein.

3. Sammeltechniken


  • Es werden, soweit Artengruppe und Fragestellung es zulassen, die für die jeweiligen Biotopstrukturen ökologisch verträglichsten Sammeltechniken ausgewählt. Dabei bleiben die beim Sammeln zwangsläufig entstehenden Störungen im Lebensraum, insbesondere im Hinblick auf die Beunruhigung von Wirbeltieren bei der Aufzucht ihrer Nachkommenschaft oder die Zerstörung der Vegetation, auf ein minimales Ausmaß beschränkt.
  • Totholzlagerstätten, Steine, Mooslager und andere Biochorien werden so untersucht, daß ihr ursprünglicher Zustand weitgehend wiederhergestellt wird und mindestens die Hälfte aller derartigen Lebensstätten im Untersuchungsgebiet unbeeinträchtigt bleibt.
  • Lebend determinierbare Arten werden vor Ort registriert und unter schonenden Bedingungen freigelassen. Die je nach Fragestellung wichtige Dokumentationspflicht des Artennachweises bleibt davon unberührt. Die Pflicht zur schonenden Freilassung gilt auch für alle nicht zu bearbeitenden Arten, soweit die angewandten Methoden dies zulassen.
  • Spezifisch lockende oder automatische, todbringende Fangtechniken, zum Beispiel bestimmte Lichtfanganlagen oder Gelbschalen im Dauerbetrieb, werden nur dort eingesetzt, wo dies ausdrücklich wissenschaftlich begründet und der Artbestand dadurch nicht gefährdet ist.
  • Unvermeidbare tote Beifänge werden, soweit möglich, an Spezialisten zur wissenschaftlichen Bearbeitung weitergegeben. Dazu kann ein Beifangnetzwerk aufgebaut werden.

4. Aufzucht und Wiederansiedlung (gilt nur für Wirbellose)


  • Für Bestimmungs- und Vergleichszwecke und zur Ermittlung der Variabilität einzelner Arten können Aufzuchten durchgeführt werden.
  • Der Natur werden nur so viele Tiere des betreffenden Entwicklungsstadiums entnommen, wie für den Aufzuchtzweck unmittelbar notwendig und aufgrund des vorhandenen Futterangebots zu halten sind.
  • Bei Aufzuchten anfallende Parasitoide, Parasiten oder Prädatoren werden mit den entsprechenden Daten Spezialisten/-innen oder Museen übereignet, zugänglich gemacht oder entliehen.
  • Eine Wiederansiedelung von nachweislich lokal ausgestorbenen Arthropodenarten wird nur in Zusammenarbeit mit der FLAGH und nur mit Genehmigung der zuständigen Behörden vorgenommen.

5. Sammlung (gilt insbesondere für Wirbellose)


  • Die durch Aufsammlung oder Aufzucht entnomenen Organismen werden unverschlüsselt mindestens mit Fundort, Fangdatum (gegebenenfalls Schlupfdatum) und Sammlernamen versehen.
  • Eine nach heutigem Sachstand angelegte Insektensammlung hat einen hohen wissenschaftlichen und kulturellen Wert. Über das Engagement des Sammlers werden durch die Erfassung, Präparation, Etikettierung und Determination zudem erhebliche materielle Werte aufgebaut. Private Besitzer/-innen sind deshalb bestrebt, durch Schutz- und Pflegemaßnahmen die biologischen Materialien optimal zu erhalten. Sie bemühen sich, nahestehende Familienmitglieder und wissenschaftliche Einrichtungen über einen späteren Verbleib ihrer Sammlung zu informieren.
  • Sammlungen, die Material enthalten, über das publiziert worden ist, sollten im allgemeinen an Museen gelangen oder solchen Institutionen zumindest angeboten werden. Ebenso ist mit Doubletten zu verfahren. Der Aufbau von Landesbelegsammlungen wird angestrebt.

6. Datenerfassung


  • Die bei der faunistischen Arbeit gewonnenen Daten sollen für das „Erfassungsprogramm für faunistische und floristische Daten“, Natis, verfügbar gemacht werden. Dies ermöglicht einen einfachen Datenaustausch innerhalb der Faunisten und zwischen Faunisten und Behörden.
  • Eine Weitergabe von Daten unterliegt den Bestimmungen des Eigentums- und Urheberrechts. Sie hat ohne Einverständnis des Urhebers zu unterbleiben.
  • Für wissenschaftliche Arbeiten (zum Beispiel Erstellen von Referenzartenlisten/Checklisten oder von Verbreitungskarten/Verbreitungsatlanten) werden die Daten von den Urhebern den Arbeitsgemeinschaften kostenlos zur Verfügung gestellt.
  • Für Naturschutzzwecke (zum Beispiel Erarbeiten von Roten Listen, Mitarbeit bei NSG-Ausweisung) werden die verfügbaren Daten von den Arbeitsgemeinschaften den Behörden kostenlos zur Verfügung gestellt.
  • Soll mit den von den Urhebern oder den Arbeitsgemeinschaften übernommenen Daten eine Arbeit ausgeführt werden, die einen finanziellen Gewinn zum Ziel hat, muß dies dem Urheber mitgeteilt und mit ihm ein Ausgleich vereinbart werden.


Beschlossen auf der FLAGH-Sitzung am 10. Oktober 1998.
Mit den drei Regierungspräsidien Hessens (Obere Naturschutzbehörden) abgestimmt am 4. Dezember 1998 (geringfügige redaktionelle Änderungen).